11 Und es geschah auf dem Weg nach Jerusalem: Jesus zog durch das Grenzgebiet von Samarien und Galiläa. 12 Als er in ein Dorf hineingehen wollte, kamen ihm zehn Aussätzige entgegen. Sie blieben in der Ferne stehen 13 und riefen: Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns! 14 Als er sie sah, sagte er zu ihnen: Geht, zeigt euch den Priestern! Und es geschah, während sie hingingen, wurden sie rein. 15 Einer von ihnen aber kehrte um, als er sah, dass er geheilt war; und er lobte Gott mit lauter Stimme. 16 Er warf sich vor den Füßen Jesu auf das Angesicht und dankte ihm. Dieser Mann war ein Samariter. 17 Da sagte Jesus: Sind nicht zehn rein geworden? Wo sind die neun? 18 Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden? 19 Und er sagte zu ihm: Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet.
Es gibt viele Erzählungen im Neuen Testament, die Heilungen schildern: Menschen haben Krankheiten und werden von Jesus geheilt. Es gibt Erzählungen von kranken Männern, Frauen und Kindern, Reichen und Armen. Manchmal sind es psychische Erkrankungen (Lk 4,33; Lk 8,27f.), manchmal sind es Hautkrankheiten (z.B. Lk 5,12, das griechische Wort ist λέπρα, zu deutsch: lepra, was der hochansteckenden Hautkrankheit den Namen gegeben hat), und manchmal sind es schwere Leiden, die zum Tod führen (Joh 11,1f.). Dann hilft keine Heilung (aus der Ferne oder Nähe) mehr, sondern nur das Wunder der Auferweckung.
Oft kommen Menschen zu Jesus, um für ihre Angehörigen Hilfe zu erbitten (Mt 15,30). Manchmal aber kommen die Kranken selbst (Mk 5,25ff.) – so wie hier in dieser Erzählung von dem einen Geheilten, der umkehrt. Eigentlich ist es ja eine Erzählung von zehn Geheilten, aber die Perspektive, die für den Evangelisten Lukas hier wichtig ist, ist der eine Mann unter den zehn Geheilten. Die Szene ist stark von den antiken Reinheitsvorschriften geprägt, denen sich Kranke mit Aussatz („Aussätzige“) unterziehen mussten. Es handelte sich oft um Hautkrankheiten, die sie vom gesellschaftlichen Leben isolierten. Deshalb rufen die Männer aus der Distanz und treten nicht näher heran, um Jesus zu schützen. So lauteten die gesellschaftlichen Regeln.
Klar ist aber: Jesus ist bekannt für Wunder, auch bei diesen Männern, die aus dem Grenzgebiet Galiläas und Samariens stammen. Samaritaner kommen an einigen anderen Stellen in der neutestamentlichen Literatur vor: mal als Freunde, mal als Feinde, immer jedoch als „Andere“ oder Fremde. Das Verhältnis zwischen den Bevölkerungsgruppen ist bis heute durch theologische Unterschiede geprägt: Juden und Samaritaner (von denen es noch einige wenige gibt) glauben an den einen Gott, haben aber unterschiedliche Rituale und spirituelle Orte hervorgebracht; das verlief nicht ohne Spannungen. Dem Evangelisten Lukas, dessen Evangelium sich durch eine „Theologie des Weges“ auszeichnet, liegt an der Darstellung eines bestimmten Mannes in dieser Gruppe, nämlich dessen, der umkehrt. Dieser eine ist es, der nicht nur geheilt und rein wird (was eine soziale und religiöse Dimension umfasst), sondern sich in besonderer Weise zu Jesus hinwendet und ihm dankt. Diese Hinwendung, die mit „Umkehr“ beschrieben wird, ist der ausschlaggebende Punkt für das, was am Ende der Erzählung von Jesus selbst ausgesprochen wird: „Steh auf und geh! Dein Glaube hat Dich gerettet!“ (Lk 17,19) Heilung und Rettung, das sind unterschiedliche Dinge. Durch die Heilung von ferne haben die Männer das Leben wieder, das soziale Leben. Solche Krankheiten, von denen diese Erzählung schreibt, führten oft in die soziale Isolation. Die Heilung durch Jesus bringt sie wieder ins Leben. Jesus hat sich ihnen zugewandt und sie geheilt – auf Zuruf.
Einer aber erkannte Jesu besondere Kraft und dankte ihm dafür in besonderer Weise. Den Zuruf Jesu verstand dieser als Einladung, obwohl Jesus zurief, dass die Priester zur Begutachtung aufgesucht werden sollten. Die religiöse Elite bestimmte also über die Rückkehr ins soziale Leben. Aber diesen einen Mann bewegte offentlich ein tiefer Dank und Ehrfurcht vor dem Menschen Jesus. Er wirft sich vor Jesus nieder – ein Ausdruck von Ehre, wie bei einem König. Der Dank ist groß für dieses zurückgewonnene Leben. Aber diese Zuwendung ist genau die Form der Umkehr, die am Ende Rettung bringt. Denn Rettung ist mehr als Heilung: Es ist die Rettung vor dem Tod, die Hoffnung auf das unendliche Leben, auf das Leben in Gemeinschaft mit Gott am Ende der Tage.
Es ist ein immer wiederkehrendes Thema im Lukasevangelium, die Rettung von Verlorenen oder einzelnen Dingen zu thematisieren (vgl. Lk 15). Es ist die Perspektive auf das Kleine, Unscheinbare, das Gute und Ehrfürchtige, das Abhandengekommene oder Fremde. All dem wendet sich Jesus zu. Es schließt das umfassende Rettungsgeschehen Gottes mit ein.
Dr. Aleksandra Brand