Joh 14,26-27
„Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.“
Joh 16,7
„Ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden.“
In diesem Jahr feiern wir das Pfingstfest im Juni. Eine meiner Schülerinnen fragte einmal: Was um Himmels willen ist der Heilige Geist? Wer soll das denn sein? Hand aufs Herz: Können Sie mit Pfingsten viel anfangen? Vielleicht bieten die zitierten Verse aus dem Johannesevangelium etwas Verständnishilfe.
Jesus spricht von seinem Weggang (seinem Tod), und als Trost stellt er den Heiligen Geist als Beistand in Aussicht (Joh 14,26), dessen Kommen für seine Jünger – sprich für uns – besser sein soll als sein eigenes Bleiben (Joh 16,7). Das ist schwer zu verstehen und lässt seine Jünger – wie auch uns heute – einigermaßen ratlos zurück.
Erlauben Sie mir, dass ich mit Hilfe der bildenden Kunst einen Verstehenshorizont zu eröffnen suche. Das Bild „Erste Schritte“ von Vincent van Gogh (1890) zeigt eine Bauernfamilie im Garten. Die Mutter steht hinter ihrer kleinen Tochter, die sie im Begriff ist loszulassen. Das Mädchen macht seine ersten Schritte in Richtung auf den Vater zu. Der Bauer hat seine Arbeit unterbrochen – er hat den Spaten aus der Hand gelegt; seitlich hinter ihm steht eine Schubkarre – und sich auf den Boden gekniet. Mit weit geöffneten Armen schaut er zu seiner Tochter und scheint zu rufen: Komm!
Jesus verlässt uns, damit wir seinen Platz auf Erden einnehmen können. Er lässt uns los (wie die Mutter ihr Kind auf dem Bild), damit wir selbstständig auf den Vater zulaufen können. Jesus geht, denn er will keine Bewunderer, sondern er braucht Menschen, die seine Sendung in der Welt fortsetzen, die auf ihrem Lebensweg seinen Weg gehen: den Weg der Liebe, des Friedens, der Orientierung auf die Gemeinschaft mit Gott hin.
Jedes Jahr regt das Osteuropa-Hilfswerk Renovabis in den Gemeinden eine Pfingstnovene zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten an. Diese neun Tage des Gebetes sollen uns bewusst machen, dass der Geist Gottes in uns und durch uns wirkt. Wir sind eingeladen, diesen Heiligen Geist zu erbitten, damit die Welt erneuert und unser Leben verwandelt wird. Dieses Jahr lautet das Motto der Pfingstnovene: „Voll der Würde“. So wie das Kind auf dem Bild durch die ersten Schritte als aufrecht gehender Mensch eine besondere Würde erhält, so sind auch wir Christenmenschen durch das Gehen in der Nachfolge Jesu mit Gottes Würde ausgestattet.
Die Menschenwürde wird in der momentanen Weltsituation an vielen Stellen mit Füßen getreten. Wer anderen, zumal seinen Gegnern, die Menschenwürde zugesteht, zeigt sich würdig, selbst ein Mensch zu sein. Nicht Rache, Rechthaberei, Reichtum oder Macht führen ins Reich Gottes, sondern das Leben, das Schauen und Gehen des eigenen Weges mit der Haltung Jesu – getreu dem Wort Jesu: „Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mk 8,34).
So lade ich Sie in diesem Juni ein, um Gottes Heiligen Geist in Ihrem Leben zu beten.
Barbara Heitfeld