„Amen, amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern. 22 Die Jünger blickten sich ratlos an, weil sie nicht wussten, wen er meinte. 23 Einer von den Jüngern lag an der Seite Jesu; es war der, den Jesus liebte. 24 Simon Petrus nickte ihm zu, er solle fragen, von wem Jesus spreche. 25 Da lehnte sich dieser zurück an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist es? 26 Jesus antwortete: Der ist es, dem ich den Bissen Brot, den ich eintauche, geben werde. Dann tauchte er das Brot ein, nahm es und gab es Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. 27 Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, fuhr der Satan in ihn. Jesus sagte zu ihm: Was du tun willst, das tue bald!“
Bei meiner Arbeit ist mir neulich diese Stelle über Judas Iskariot und Jesus begegnet, und sie hat mich zum Nachdenken gebracht.
Szenisch befinden wir uns in einem Raum, in dem viele Jünger gemeinsam bei Tisch sitzen. Die Szene ist von Intimität und Nähe geprägt; es ist aber auch der Beginn des Endes von Jesu Wirken auf Erden. An dieser Stelle wird das gemeinsame Essen mit Jesus, sogar von Jesus persönlich gereicht, zum Auslöser, dass "der Satan in ihn fährt". Judas Iskariot ist derjenige, der gemeint ist. Auch wenn heute das Konzept des Satans schwer vermittelbar ist, so steht hinter der archaischen Vorstellung des "Einfahrens des Satans" die Situation, dass sich Judas plötzlich gegen Jesus wenden wird. Judas Iskariot wird Jesus ausliefern. Die Soldaten, die den Befehl haben, Jesus zum Gericht zu bringen, können Jesus festnehmen, weil Judas ihnen verrät, wo sich Jesus mit seinen Freundinnen und Freunden aufhält. Diese Situation führt letztlich zum Tod Jesu.
Besonders eindrücklich ist für mich die Situation des gemeinsamen Essens. Das gemeinsame Mahl liefert den szenischen Hintergrund. Aber das Essen mit Jesus wird hier nicht zum gemeinschaftsstiftenden Moment, sondern bewirkt das Gegenteil, zumindest für Judas.
Das hat mich nachdenklich gemacht.
Wenn in der Kirche bei der Eucharistiefeier gemeinsam an diese Abendmahlsszene erinnert wird, soll nach katholischer Vorstellung die Gegenwart Christi zu spüren sein. Jesus soll durch das Brot in die Menschen aufgenommen werden. So ist die Kommunion, das Essen des heiligen Brotes, der Ort, an dem es darum geht, sich mit Jesus in besonderer Weise verbunden zu fühlen. Jesus reicht das Brot. Die Eucharistie wird zur Nahrung für den Glauben an Jesus als den einen Sohn Gottes; diese Vorstellung steckt dahinter.
Aber das ist kein Automatismus. Judas Iskariot ist das Beispiel, das der Evangelist Johannes beschreibt: Jesus nährt, aber Judas ist nicht mehr mit Jesus, sondern gegen ihn. Gerade das gemeinsame Essen lässt dem Dämon Satan freien Lauf. Es ist Jesus selbst, der Judas und den anderen ankündigt, dass dies passieren wird: "Der ist es, dem ich den Bissen Brot, den ich eintauche, geben werde." Die intime Situation mit ganz viel Nähe unter den Jügerinnen und Jüngern – der Lieblingsjünger legt den Kopf auf Jesu Schulter – wird durchbrochen.
Es bleibt ein Kloß im Hals. Vielleicht stellt man sich eine Träne in den Gesichtern der Jünger vor, vielleicht auch die Hoffnung, es möge nicht geschehen. Judas wird der Bissen gereicht und damit offenbart, wer sich in einer besonderen Glaubenssituation befindet. Sein prophetisches Wissen ist dabei entscheidend, es ist keine Wahrsagerei. Der Vorgang ist (heils-)entscheidend, weil Jesus auf diese Weise ausgeliefert werden wird; aber Judas hätte die Möglichkeit gehabt, es anders zu tun, gerade weil die Situation angekündigt war.
Was ist die Aussage hinter diesem Text?
Judas ist ein krasses Beispiel; Betrug und Intrigen sind meist nicht Alltag. Und doch gibt es innere und äußere "Dämonen", die vielleicht auch in meinem Leben eine Rolle spielen.
Gott kennt mich, das ist die zentrale Aussage, die dahintersteht, mit allen Schwächen und Stärken, mit all meinen Dämonen. Judasʼ Entscheidung, nicht weiter auf Jesus zu vertrauen, weil ihn polit-religiöser Druck verunsicherte und das Gold lockte, sind nur allzu menschliche Reaktionen. Aber gerade weil Jesus offenbart, was er weiß, hätte Judas Iskariot die Möglichkeit gehabt, sich zu ändern. Jesus kennt mich, und ich werde geliebt – trotzdem. Oder gerade deshalb?! Trotzdem führte Judas mit seinem Verhalten in die Katastrophe. Gott selbst ist derjenige, der durch die Katastrophe hindurch- und daraus herausleiten kann.
Die Reflexion dessen, dass das eigene Leben nicht mehr ganz orientiert ist, ein wichtiger Schritt, die "inneren Dämonen" zu erkennen und anzunehmen, um sie in einem nächsten Schritt verändern zu können. Ein wichtiger Punkt ist die Freiheit des Menschen. Die Nähe zu Jesus ermöglicht ihnen Leben, Gemeinschaft und Fülle. Die Entscheidung liegt bei jeder und jedem selbst. Dabei ist es nicht entscheidend, ob, wie Wissenschafterinnen und Wissenschaftler heute streiten, das Böse von außen kommt oder von innen. Es gibt die Einsicht, dass jede noch so große Nähe zu Gott und starkes Gemeinschaftsgefühl trotzdem dazu führen können, sich von dieser Gemeinschaft wieder zu entfernen.
Was also hilft?
Der britische Sänger Robbie Williams hat nach vielen Jahren ein neues Album herausgebracht. Darin findet sich ein Song, der über Fehler und die eigenen Dämonen spricht: „Forbidden Road“. Es ist eine Metapher für das, was den Menschen eben auch ausmacht – das Schlechte, Gemeine, Hinterhältige, Verräterische und Böse; die Erkenntnis dessen und die große Frage, die am Ende bleibt: Liebst Du mich trotzdem? Das ist kein Freifahrtschein, sondern eine demütige Frage, die einen Neuanfang schaffen kann: gegenüber dem Partner/der Partnerin, gegenüber sich selbst und gegenüber Gott.
I walked along a forbidden road
I had to know where does it go
Like birds that fly into the sun
I had to run, I'm not the only one
So do you love me now?
Or did I let you down?
You said you wanted all my secrets
So I showed you all my demons
Do you love me now?
Ich ging eine verbotene Straße entlang
Ich musste wissen, wohin sie führt
Wie Vögel, die in die Sonne fliegen
Ich musste laufen, ich bin nicht der Einzige
Also liebst du mich jetzt?
Oder habe ich dich im Stich gelassen?
Du sagtest, du wolltest all meine Geheimnisse
Also habe ich dir all meine Dämonen gezeigt
Liebst du mich jetzt?
Aleksandra Brand